Statt eines Gedichts in diesem Monat ein Märchen:

    Die drei Freunde

    Es waren einmal drei Freunde, die hießen Aureus, Bacholo und Cideniz. Jeder im Land kannte sie und rühmte ihre Unzertrennlichkeit. War einer fröhlich, so waren sie alle fröhlich. Und wurde einer krank, so riefen bald auch die beiden anderen nach dem Arzt. Sie teilten das Brot und die Arbeit, und wenn es Abend wurde, erzählten sie sich alles, was sie wussten.

    Eines Tages zogen sie gemeinsam in den Wald, um Holz zu sammeln. Da trat plötzlich hinter einem dicken Baumstamm ein kleines, hutzeliges Männlein hervor.

    "Na, ihr drei, lasst mich raten", hub das Männlein zu reden an. "Ihr seid gewiss Aureus, Bacholo und Cideniz!"

    "Das ist wahr", entgegneten die drei, "aber woher kennst du uns?"

    "Nun, neulich, auf dem Markt, hörte ich, dass unter euch dreien der beste Freund ist, den man sich vorstellen kann! Sagt an, wer von euch ist es?"

    "Wir sind alle drei gute Freunde!" rief Aureus. "Natürlich!" stimmten die beiden anderen ein, "alle drei!"

    "Oho", rief das Männlein, "was seid ihr dumm! Nichts auf der Welt gibt es zweimal oder gar dreimal. Und wenn ihr drei Hühner bratet, so ist immer eins das beste und eins das schlechteste. Und wenn es drei schöne Tage gibt, so ist immer einer noch ein wenig schöner als die beiden anderen. Darum muss auch einer von euch ein besserer Freund sein als die beiden anderen. Von heute an sollt ihr keine Ruhe mehr finden, bis ihr wisst, wer von euch der beste Freund ist!" Sprach's und - wuppdich - war verschwunden.

    Die drei schauten sich an. Aureus fasste sich als erster: "Hört, meine Freunde. Ihr seid es gewiss wert, der beste Freund genannt zu werden. Aber der beste kann nur einer sein. Ihr aber seid zwei. Folglich muss ich es sein."

    Bacholo wiegte bedächtig den Kopf. "Nicht schlecht. Aber als bester Freund müsstest du dich selbst zurücksetzen und einen von uns zum besten erklären. Ich sage, Cideniz ist der beste. Und weil ich mich zurücksetze und einen Freund erhebe, bin ich der beste."

    Cideniz schließlich fügte flink hinzu: "Wenn es so ist, dann ist das ganz einfach: Aureus hat uns beide zurückgesetzt. Bacholo hat einen zurückgesetzt, weil er sich immerhin noch für besser als Aureus hielt. Ich sage, ihr seid beide besser als ich, und darum bin ich der beste."

    Als sie so gesprochen hatten, verfielen sie in tiefes Nachdenken. Aber sie konnten nicht herausfinden, wer denn nun wirklich der beste Freund war.

    Mit einem Mal schlug sich Aureus vor die Stirn und rief aus:

    "Ich hab's! Lasst uns einen Wettkampf ausrichten. Wer dabei die größte Freundschaft beweist, der soll der beste sein!" "Gut, sehr gut!" antwortete Bacholo. "Aber - wir brauchen einen Schiedsrichter!"

    Jetzt war es Cideniz, der Rat wusste: "Jenseits des großen Flusses wohnt ein weiser Vogel. Der sitzt auf einem Thron in einer wunderschönen Burg. Lasst uns dahin wandern, damit er die Entscheidung treffe!"

    Gesagt, getan.

    Während der Reise sprachen die drei Freunde nur wenig. Jeder bewegte in seinem Herzen, was er bei dem Wettkampf vorbringen wollte. Und nur ab und zu lachte einer von ihnen in sich hinein, wenn er glaubte, dass ihm etwas Gutes eingefallen war.

    Bild: Der weise VogelEndlich langten sie auf dem Schloss des weisen Vogels an. Sie fanden ihn wirklich auf einem Thron sitzend, und sie berichteten ihm, dass sie seit ihrer Begegnung mit dem kleinen Kobold keine Ruhe mehr fänden, weil sie nicht herausfinden konnten, wer von ihnen der beste Freund sei.

    "Nun denn", entgegnete der Vogel und schüttelte seine Schwingen. "Dann lasset den Wettkampf beginnen. Was habt ihr an Freundschaft zu bieten?"

    Als erster trat Aureus vor den Thron des Vogels.

    "Weiser Schiedsrichter, ihr Freunde hört", hub er an. "Ich habe einen Acker, der mich ernährt, und eine Hütte, die mich schützt. Aber hier habe ich auch noch eine kleine Schatulle mit Goldstücken. Die will ich meinen Freunden geben, damit sie sich daran erfreuen."

    "Gut gesprochen", antwortete der Vogel. "Und du Bacholo, was hat du zu geben?"

    Bacholo trat vor und sprach: "Gold habe ich nicht, aber hier ist ein Schlauch Wein. Den will ich mit meinen Freunden leeren. Und ich habe mir ein Lied ausgedacht und ergötzliche Geschichten. Die will ich vortragen, damit sie sich daran erfreuen und mit mir lachen."

    "Gut gesprochen, Bacholo", versetzte der Vogel. "Und du Cideniz, was willst du besseres bieten als Gold und Freude?"

    "Nun", entgegnete Cideniz, "ich habe mir gedacht, ich nehme das Gold von Aureus. Denn das schönste Geschenk ist wertlos ohne einen, der es annimmt. Und ich höre zu, wenn Bacholo seine Späße macht, und lache darüber. Denn mit nichts kann man Freude machen ohne einen, der sich erfreuen lässt."

    Da erhob sich der weise Vogel von seinem Thron, klopfte mit seinem Zauberstab dreimal auf den Tisch und sprach also:

    "Aureus, gib dein Gold, du bist der freigiebigste Freund."

    Aureus freute sich über seinen Sieg in dem Wettkampf und übergab dem Vogel die Goldstücke. Der formte sie zu einer wunderschönen Kette, hängte sie Bacholo um den Hals und sprach:

    "Bacholo, nimm diese Kette, du bist der unterhaltsamste Freund."

    Bacholo freute sich über seinen Sieg in dem Wettkampf und sprudelte gar wundersame Geschichten hervor, über die alle herzlich lachen mussten.

    Dann rief der Vogel Cideniz zu sich und sprach:

    "Cideniz, du erhältst als Preis dein Lachen - und während Bacholo nur an seinem Halse die Last der Kette spürt, kannst du sie immer blitzen und blinken sehen: Ihr Anblick gehört dir. Du bist der aufmerksamste Freund."

    Cideniz freute sich über seinen Sieg in dem Wettkampf. Und sie öffneten Bacholos Weinschlauch und lachten und feierten tapfer die ganze Nacht.

    Die drei Sieger des Wettkampfs aber zogen fröhlich nach Hause. Und sie bekümmerten sich nie mehr um die Frage, wer von ihnen der beste sei.